SINZING (sk). Treffpunkt am Rathaus: Das Thema „Barrierefreiheit“ veranlasste Vertreter mehrerer Behindertenorganisationen sowie des Landratsamts, den Behindertenbeauftragten Martin Tischler sowie die Sinzinger Seniorenbeauftragten Gabriele Karl und Alfred Lechermann zu einem erkenntnisreichen Spaziergang. Mit dabei waren Pfarrer Bernhard Reber, die Gemeindevertreter Gabriele Hartkopf, Josef Espach und Bürgermeister Patrick Grossmann.
„Unsere Welt ist immer noch zu sehr auf den Normalbürger ausgerichtet.“ Zu dieser Erkenntnis kam Grossmann in seiner Schlussbetrachtung. Es seien viele der Anregungen kurzfristig machbar, aber einiges derzeit noch nicht umsetzbar. Allerdings, so war zu erfahren, ist gerade der Neu- und Umbau des Rathauses deutlich vom Gedanken des Barriereentfalls getragen, um Zugang und Erledigungen im Amt auch für Bürger mit jeglicher Art von Handicap problemlos zu ermöglichen.
Anhand des Modells erklärte der Rathauschef die künftige bauliche Ausstattung des Gebäudes, mit Aufzug und dem ebenerdigen Zugang zum Bürgerbüro. Die Anregung, einen abgesenkten Counter für Rollstuhlfahrer oder ein im Boden eingelassenes Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte einzurichten, wurde aufgenommen, wird wohl noch in die Neubauplanung einfliesen. Selbst so scheinbare Kleinigkeiten wie unterfahrbare Tische, damit diese für Rollstuhlfahrer als Schreibauflage nutzbar sind, waren für die Seniorenbeauftragte Gabriele Karl ein Erkenntnisgewinn. Zur Benutzung des Aufzuges wurde das Zwei-Sinne-Prinzip angeregt. „Sehen und Hören“ sei bei einer Alarmierung ausgesprochen wichtig, um die Aufmerksamkeit des Fahrstuhlnutzers im Alarmfall zu gewinnen oder diesem auch die Rückmeldung zu geben, sein Notruf ist angekommen.
Nachdem sich die „Ortsbegeher“ aus Bürgern mit unterschiedlichsten Einschränkungen zusammensetzten, ergaben sich daraus sehr differenzierte Bewertungen. Die Rollstuhlfahrer erfuhren ihre Benachteiligung durch behindernde Barrieren im Wegenetz, die Blinden und Sehbehinderten vermissten hin und wieder eine deutliche Abgrenzung zwischen Fußweg und Fahrbahn, um diese mit dem Stock erfühlen zu können. Freuen sich die Rollifahrer über den auf gleiches Niveau zur Fahrbahn abgesenkten Fußweg, stellt dies für den Blinden ein Problem dar.
Besondere Kritik erfuhren die Bushaltestellen, wegen ihrer fehlenden Unterstellmöglichkeit für Rollstuhlfahrer bei schlechtem Wetter, und weil sie von dem Zwei-Sinne-Alarmprinzip „Sehen und Hören“ durch entsprechende Anzeigetafeln und Lautsprecherdurchsagen zur Busverkehrsinformation abweichen.
Wie sehr aber die persönliche Betroffenheit einzelner Bürger diesem Prinzip entgegensteht, zeigte die Reaktion von Alfred Lechermann, der unmittelbar am Bahnhof wohnt. Er wünscht sich am Zughaltepunkt bei der Treppe einen Aufzug, weil es immer wieder Fahrgäste gebe, die sich mit schweren Koffern und Fahrrädern die Treppe hinauf quälten. Die Anzeigetafeln seien in Ordnung. Mit den Durchsagen habe er aber ein Problem. Die störten schon gewaltig.
In seiner Kritik wesentlich moderater gegenüber früher zeigte sich Lechermann bei der Besprechung des historisch bepflasterten Platzes vor der alten Kirche. Er hoffe, dass in viereinhalb Jahren eine bessere Überfahrung möglich sein wird, dann ende die städtebauliche Bindefrist. Im Praxistest war jedoch erkennbar, dass die Befahrung des Platzes so schwierig nicht war, als sich die Rollstühle auch bei höherer Geschwindigkeit zwar ratternd, aber nicht sturzgefährdet über das Pflaster bewegten. Espach erkannte in manch monierten Wegeabsätzen und Übergängen eine kurzfristige Aufgabe für den Bauhof. „Das ist leicht zu beheben.“
Was echte Barriere und deren Überwindungshilfe bedeutet, lies die Terminmitwirkung des Taubstummen Andreas Poppe erkennen. Für ihn war die Diskussion nur über eine Gebärdensprachendolmetscherin möglich. Es war faszinierend zu beobachten, wie perfekt seine „Lautsprecherin“ seine Barriere nicht sprechen zu können überwand und durch das Gebärden eine rege Gesprächsteilnahme des Universitätsdozenten organisierte.